Sehr geehrte Vorstandsmitglieder,
sehr geehrte Frau Demirbilek,
liebes Team der W3,
liebe Gäste,
sich mit Diversität und Gerechtigkeit auseinanderzusetzen – und zwar im Großen wie im Kleinen gleichermaßen – das ist das Kennzeichen der W3. Wichtig ist dabei, immer im Blick zu behalten, dass sich das Große auch im Kleinen spiegelt, weil all das, was im Lokalen nicht funktioniert, dann auch im Globalen nicht funktionieren wird.
In der Politik müssen wir uns dies immer wieder in Erinnerung rufen. Allzu schnell passiert es, dass wir ausweichen und uns mit der Beschreibung der großen globalen Probleme unsere eigene Handlungsunfähigkeit beweisen wollen. So entsteht ein resignativer Trugschluss nach dem Muster: Wir müssten dann auch nichts mehr tun – aber wir würden natürlich, wenn wir denn nur könnten.
Bei der W3 ist das ausdrücklich anders: Hier geht es um Resilienz anstelle von Resignation und das macht diesen Ort so bedeutsam. Die taz hat zum 15. Jubiläum geschrieben, dass hier „bis zur Halskrause engagierte Gruppen“ zusammengekommen seien. Das „Kommunikations- und Informationszentrum“, wie es sich bei der Gründung noch nannte, schrieb sich nämlich programmatisch „Entwicklung, Frieden und Menschenrechte“ auf die Fahnen – geht es noch höher in den eigenen Ansprüchen?
Seit nunmehr 40 Jahren vertritt die W3 als „Werkstatt für internationale Kultur und Politik“ auch mit ihrem Namen einen Werkstattcharakter und verdeutlicht damit den klaren Anspruch, nicht fertig zu sein, sondern stetig auszuprobieren. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die internationale Perspektive auf Kultur und Politik – im Großen wie im Kleinen.
Hamburg ist für diese Auseinandersetzung ein geeigneter Standort, denn Hamburg ist ein Ort der Vielfalt. Und um dieses Gesicht der Stadt zu sichern, muss die Frage nach dem Umgang mit Vielfalt und nach den Bedingungen, Freiheit hier in Hamburg ausleben zu können, ständig neu gestellt werden. Es geht darum, entsprechende Möglichkeiten auszuprobieren und abzuwägen, ob sich diese auch „skalieren“ lassen, wie man das in der Digitalwirtschaft heute so treffend formuliert. Damit ist die Untersuchung gemeint, ob ein Ansatz nicht nur im Kleinen, sondern unter Umständen auch im Großen funktionieren könnte.
Gleiches gilt auch umgekehrt: Das, was hier passiert, hängt unweigerlich auch mit dem, was außerhalb der Hansestadt passiert, zusammen. Diese Perspektive, dass es da draußen noch eine andere Welt gibt, tut auch den Hamburgerinnen und Hamburgern manchmal ganz gut, die sich in ihrer Stadt, die sie für die Schönste der Welt halten, so wohl und geborgen fühlen.
Kurt Tucholsky hat in den 1920er Jahren – also lange bevor wir Globalisierungsdiskussionen führten – einmal gesagt: „Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.“ Das stimmt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Kultur, für die Politik und kurzum für alle Lebensformen. Es gibt keine Inseln mehr, sondern wir hängen alle zusammen.
Und eben dieses Netz durch Kultur- und Bildungsarbeit hier vor Ort offenzulegen und mit einer Perspektive auf das Ganze zu festigen, das ist wirklich etwas sehr besonderes.
Ich freue mich daher außerordentlich, der W3 die Glückwünsche des Senats zum 40. Geburtstag persönlich überreichen zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch, liebe W3, zu 40 Jahren beherzter Arbeit!
Mit jedem Dank und jedem Glückwunsch schwingt natürlich auch immer die wohlwollende Aufforderung mit, genauso weiter zu machen – mit so viel Engagement „bis zur Halskrause“ und manchmal auch darüber hinaus.
Ich betone das Engagement auch deshalb so ausdrücklich, weil manche Themen, die die W3 seit Langem bewegen, aktuell wieder stärker als uns allen lieb sein kann auf der gesellschaftspolitischen Agenda stehen.
Wir hatten durchaus schon einmal geglaubt, wir wären in unserer Gesellschaft weiter mit der Akzeptanz von Vielfalt, Freiheit und Offenheit; auch mit der Anerkennung, dass hierin eine Stärke einer Gesellschaft liegt. Aktuell müssen wir aber feststellen, dass diese Ansicht zu oft nicht geteilt wird.
Hinter uns liegen zwei Landtagswahlen, bei denen ein Viertel der Wählerinnen und Wähler eine Partei gewählt hat, die dezidiert eine andere Position vertritt: Sie ist der Meinung, wir hätten die Freiheit, Offenheit und Vielfalt zu weit getrieben und müssten wieder ein paar Schritte zurückgehen, um einen Ort zu schaffen, an dem wir uns in einer vermeintlich homogenen Gruppe – die es nie gegeben hat – wieder ganz unter uns fühlen können.
Gegen solche Stimmen Position zu beziehen und zu zeigen, dass wir aus der Freiheit, der Offenheit und der Vielfalt heraus Gemeinschaft erzeugen können, ist unsere dringliche gemeinsame Aufgabe.
Der entscheidende Punkt wird sein, nicht unsere jeweilige Einzigartigkeit zu rühmen, sondern den Impetus, der zur Gründung der W3 beitrug, aufzunehmen: sich in Gruppen zusammenzufinden und in diesen Gruppen daran zu arbeiten, dass unsere Gesellschaft besser wird.
Wichtig ist dabei, den Glauben daran nicht zu verlieren, dass das gehen kann und gemeinsam vorzumachen, dass das gehen kann. Nur durch dieses gemeinsame Engagement wirken wir einer Positionierung entgegen, die zwischen „Abgehängten“ an der Peripherie und „urbanen Eliten“, die wüssten, wie mit allem umzugehen sei, unterscheidet und die konstatiert, dass beide Gruppen nicht mehr zusammenkämen. Wir müssen vormachen, dass diese beiden Gruppen zusammenkommen können und ich glaube fest daran, dass das funktioniert. Es gelingt aber nur, wenn wir auch im urbanen Kern die Solidarität zu denen, die sich gerade nicht dazugehörig fühlen, nicht verlieren.
Nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander zu stärken und zu fördern, darauf kommt es an. Und auch dafür möchte ich mich ausdrücklich bei der W3 bedanken, denn die W3 hat sich diesem Miteinander durch viele Initiativen verschrieben. Das Schulungsprogramm „[in:szene]“ ist dafür nur ein Beispiel.
Ebenso erinnert die W3-Agenda unter dem Aspekt des Vermittelns von Fähigkeiten und Fertigkeiten an den sogenannten „Fähigkeiten-Ansatz“ von Martha Nussbaum. Ein Ansatz, der globale Gerechtigkeit anhand individueller Freiheiten und institutioneller Rahmenbedingungen evaluiert.
Martha Nussbaum nennt zehn verschiedene Fähigkeiten, von denen ich vier herausgreifen möchte, die im Hinblick auf das Programm der W3 besonders hervorstechen:
Erstens die Fähigkeit, wirksam an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen und Menschen dazu zu befähigen, das zu tun.
Zweitens die Fähigkeit, mit anderen und für andere zu leben, sich also als Teil einer Gemeinschaft zu empfinden und sich auf Interaktionen einlassen zu können.
Drittens die Fähigkeit, in Anteilnahme mit der Welt der Natur zu leben. Sich selbst als Teil eines Naturzusammenhangs, eines Ganzen zu begreifen, auch darauf kommt es heutzutage an.
Und viertens die Fähigkeit, ganz generell immer wieder die Sinne benutzen zu können und zwar nicht nur durch Nachdenken zwecks Wissensaneignung, sondern auch durch künstlerische Betätigungen, denn sie unterstützen ein Verstehen. Dies ist notwendig, denn Wissen allein reicht nicht aus. Aus dem Wissen müssen sich ein Verstehen und dann ein Handeln entwickeln. Genau daran arbeitet die W3 als Werkstatt und „Ort des Begreifens“ seit 40 Jahren.
Ich hoffe, sie führt das noch mindestens 40 Jahre fort und ich hoffe, wir sind irgendwann nicht mehr so sehr auf sie angewiesen – wir werden sie aber natürlich trotzdem genauso lieb haben. Brauchen werden wir sie immer, denn wir wissen, dass in der Moderne alles jeden Tag wieder neu gesichert werden kann. Das Schlimmste ist der Moment, an dem wir glauben, jetzt hätten wir es geschafft und hätten die offene, freie und friedfertige Gesellschaft endlich erreicht. In dem Moment, in dem wir alle ermattet auf die Couch zurücksinken und uns in Gewissheit wähnen, uns jetzt einen Tag ausruhen zu können, fangen die Probleme an. Dann kommen die anderen, die der Meinung sind, dass das nicht stimmt.
Genau deshalb müssen wir jeden Tag auf den Platz, auch wenn wir am Morgen noch nicht wissen, welches Spiel wir eigentlich spielen. Und genau das passiert hier in dieser Werkstatt auf bewundernswerte Weise jeden Tag aufs Neue.
Ich bedanke mich beim gesamten Team der W3 und hoffe, dass Sie mit ganz viel Energie und Kraft weitermachen und dabei das Engagement und die Zuversicht nicht verlieren, sondern uns weiter befeuern – das brauchen wir.
Schönen Dank.
Dr. Carsten Brosda